Doppeltes Spiel

Carla war erleichtert, als sie endlich die Grenze erreicht hatte. Was folgte, war die übliche Prozedur: Die wartenden Autos rückten nervenzermürbend langsam vorwärts, und obwohl es noch nicht Mittag war, knallte die Sonne erbarmungslos auf die Blechdächer, und eine stickige Hitze machte sich breit.

Nichts wie raus, dachte Carla und meinte damit das Land, dieses dreimal verfluchte Land. Nichts wie weg hier!

Als ob mit dem Schritt über die Grenze das Vergangene versunken und ausgelöscht wäre.

Noch drei Autos standen vor ihr.

Carla seufzte, griff ins Handschuhfach und angelte nach ihren Papieren. Ein prüfender Blick in den Rückspiegel.

Sie sah aus wie immer.

Noch zwei Autos.

Und im Hotelzimmer lag er. Lag rücklings auf dem Bett, die Augen weitaufgerissen, so dass sie in der Sommerhitze schnell vertrockneten. Ein milchigtrüber Halbmond hatte sich über seine Pupillen gelegt und sie fast völlig zugedeckt. Die bleichen Lippen waren verschlossen wie im bitteren Eigensinn. Im Todeskampf hatte er sich auf die Zunge gebissen, und eine bräunliche Blutspur vertrocknete in seinem Mundwinkel. Ob sein Bruder noch immer auf der Bettkante saß und die Fliegen verjagte?

Bei dieser Hitze kamen sie schnell, angelockt vom Geruch des Todes. Sicher feierten sie schon auf dem Leichnam ihr Fest, ihre massenhafte Hochzeit. Wahrscheinlich tanzten sie auf seinen dichten langen Wimpern, krochen in seine Ohren, in seine Nasenlöcher.

Wenn sie nur wüsste …

Sie war sich doch so sicher gewesen, wie noch niemals vorher im Leben. Ein Blick in seine erloschenen Züge hatte genügt. Es bestand kein Zweifel. Und trotzdem nagte unablässig diese Frage.

Wer lag dort auf den zerwühlten Laken? Jože?

(...)

Ulrike Blatter: Doppeltes Spiel. In: „Verliebt, verlobt, tot!“